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Porträt Friedrich Nietzsche

Das Porträt Friedrich Nietzsche oder kurz Friedrich Nietzsche ist ein Gemälde des norwegischen Malers Edvard Munch aus dem Jahr 1906. Es ist ein Porträt des deutschen Philosophen Friedrich Nietzsche, der sechs Jahre zuvor verstorben war. Daher musste Munch entgegen seiner sonstigen Arbeitsweise auf Fotografien des Porträtierten zurückgreifen. Das Bild geht auf eine Anregung Elisabeth Förster-Nietzsches zurück und ist eine Auftragsarbeit für den schwedischen Unternehmer und Kunstsammler Ernest Thiel. Es wird heute in der von ihm gestifteten Thielska galleriet in Stockholm ausgestellt. Im selben Jahr malte Munch noch ein zweites, schmaleres Nietzsche-Porträt, das in seinem Besitz verblieb und im Munch-Museum Oslo gezeigt wird.

Bildbeschreibung Das Porträt zeigt auf zwei Metern Höhe eine überlebensgroße Nietzsche-Figur als Hüftbild. Der Philosoph steht laut Reinhold Heller in einer sehr aufrechten, machtvollen Pose. Hilde M. J. Rognerud nennt sie „maniriert". Er trägt Weste, Krawatte und einen langen Mantel, alle in Schattierungen von dunklem Blau. Mit seinem rechten Arm lehnt er sich an eine Brüstung an. Im Dreiviertelprofil blickt er hinab auf die Landschaft. Die Form der Hände zeigt eine nachträgliche Bearbeitung: Munch verkleinerte die Konturen der zunächst groß geratenen Hände mit schwarzer und weißer Farbe. Die Diagonale des Geländers führt in steiler Perspektive von der linken unteren Ecke aufwärts und trennt ein bräunliches Dreieck ab.

Wie die steile Diagonale erinnern auch die gelb-roten Strukturen des Himmels an Munch bekanntes Motiv Der Schrei, allerdings dominieren nun Gelb- und Weißtöne, durch die nur wenige rote „Feuerstreifen" züngeln. Dies führt laut Hans Dieter Huber zu einer wesentlich ruhigeren, gemäßigteren Stimmung. Die Landschaft links unterhalb der Brüstung wird aus Acker- und Flussstreifen in unterschiedlichen Grün, Gelb- und Blautönen gebildet. In einer Biegung des Flusses ist eine weiße Burg mit drei Gebäuden zu erkennen. Links und rechts hinter Nietzsches Schultern erheben sich blaue Hügelketten, die den Eindruck erzeugen, dem Philosophen wüchsen Flügel.

Die Version aus dem Munch-Museum ist ebenso groß wie jene aus der Thielska galleriet, aber schmaler, wirkt dadurch gedrängter und unruhiger. Der Ausschnitt der Landschaft ist kleiner. Ohnehin sind Landschaft und Figur laut Hans Dieter Huber nur „in sehr magerer Malweise und sehr schematisiert" skizziert. Die grünen Felder sind farblich nicht differenziert, sondern schraffiert wie die Berge, die angedeutete Burg ist nur zu erahnen. Bis auf den sorgfältig gestalteten Kopf beschreibt Detlef Brennecke eine hastige Malweise mit zum Teil ungereinigtem Pinsel, in der die Grün-, Blau-, Gelb- und Brauntöne „durcheinander changieren", Schlieren, Kleckse und Spritzer bilden. Nietzsches Mantel und die flügelartigen Berghänge erhalten einen Stich ins Violette. Der Himmel erinnert in dieser Fassung mit seinen Gelb- und Orangetönen noch stärker an den Schrei. Er sorgt laut Huber für „eine fieberhafte und kranke Atmosphäre […]. Selten ist ein so kaltes und giftiges Gelb auf die Leinwand gebracht worden."

Bildgeschichte In den Jahren 1902 bis 1908 hatte Munch zwei Wohnsitze. Die Sommer verbrachte er in Norwegen, vor allem in Åsgårdstrand, die Winter im deutschen Berlin, wo er mit seiner Kunst besonders erfolgreich war. Munch fügte in diesen Jahren seinem Lebensfries keine weiteren Motive mehr hinzu, sondern entwickelte sich zu einem gefragten Porträtmaler, der während der Arbeit an den Bildern bei seinen Auftraggebern residierte. Im Frühjahr 1904 reiste er für ein Porträt Harry Graf Kesslers erstmals nach Weimar. Über den Architekten Henry van de Velde lernte er Elisabeth Förster-Nietzsche kennen, die Schwester des verstorbenen Philosophen. Diese sorgte wiederum für den Kontakt zum schwedischen Bankier Ernest Thiel, der ein großer Verehrer Nietzsches war und einige seiner Werke ins Schwedische übersetzt hatte. Zudem besaß er bereits ein Gemälde von Munch und plante weitere Anschaffungen. Schnell war die Idee eines von Thiel finanzierten Auftragsporträts geboren, bei dem als Nebenprodukt auch ein Bildnis der Schwester entstand.

Für die Abbildung Nietzsches musste sich Munch mit Fotografien und künstlerischen Darstellungen begnügen, die dessen Schwester ihm zur Verfügung stellte. Darunter befanden sich etwa die Fotoserie des siechenden Nietzsches von Hans Olde und die daraus entstandene Radierung sowie eine Fotografie Nietzsches mit aufgestütztem Kopf von Gustav Adolf Schultze. Letztere führte in ersten Skizzen zu einem zusammengekauerten Nietzsche, der wie die Silhouette in Nacht in Saint-Cloud am Fenster sitzt bzw. eine Jappe-Nilssen-Figur aus Melancholie, die in das Interieur von Munchs schwermütiger Schwester Laura versetzt wurde, deren Porträt ebenfalls Melancholie betitelt ist.

Den künstlerischen Durchbruch bedeutete erst die Entscheidung, Nietzsche nicht länger realistisch darzustellen, sondern abstrakt als Figur seiner eigenen Werke, namentlich als Zarathustra. Munch beschrieb: „Ich habe […] entschieden, ihn monumental und dekorativ zu malen. Ich finde nicht, daß es richtig von mir wäre, ihn illusorisch [sic!] darzustellen - da ich ihn nicht mit meinen äußeren Augen gesehen habe. Ich habe deshalb meinen Standpunkt dadurch pointiert, daß ich ihn ein wenig überlebensgroß male." Welche der beiden Gemäldeversionen nach diversen Skizzen zuerst entstand, ist bis heute nicht endgültig geklärt. Im Catalogue raisonné von Gerd Woll aus dem Jahr 2008 etwa folgt die Version des Munch-Museums auf die Auftragsarbeit für Thiel, siehe die Liste der Gemälde von Edvard Munch. Vertreter dieser These argumentieren, dass Munch häufig ihm wichtige Motive nach einem Verkauf für den eigenen Bedarf nachgemalt hat. Detlef Brennecke begründet jedoch mit Munchs eigenen Aufzeichnungen und der Skizzenhaftigkeit der Version des Munch-Museums, dass dieses nur eine Vorstudie gewesen sei und Munch somit bewusste Änderungen hin auf eine ruhigere, optimistischere Bildstimmung vorgenommen habe.

Ernest Thiel zeigte sich nach Erhalt des Gemäldes jedenfalls „ganz und gar bezaubert von diesem imponierenden Bildnis - wie da Prophet und Mensch in eins verschmelzen. Genau so habe ich es mir gewünscht, ihn einmal zu besitzen! Es hätte ihnen gar nicht besser gelingen können." Munch bedankte sich mit der Überzeugung: „Ich glaube, daß mich das Bild künstlerisch weitergebracht hat." Vor allem brachte es ihm aber einen neuen Förderer, der weitere seiner Bilder erwarb sowie ein eigenes Porträt in Auftrag gab, so dass Munch rückwirkend feststellte: „Thiels Käufe gaben mir eine wirtschaftliche Freiheit, zwei Jahre lang, als ich Geld am meisten brauchte."Der künstlerische Wert der Auftragsarbeit war schon in zeitgenössischen Bewertungen umstritten. So lobte etwa Tor Hedberg 1907 im Svenska Dagbladet „eine Synthese der Persönlichkeit oder, besser gesagt, der Idee der Persönlichkeit". Dem schlossen sich andere Kritiker an, die das „Prophetische, Übermenschliche" (Peter Krieger), „den Ausdruck unendlicher Verlassenheit und lauernden Wahnsinns" (Otto Benesch) oder „die hoffnungslose Einsamkeit und Verwirrung des gescheiterten Titanen" (Paul Ferdinand Schmidt) erkannten, „eines modernen dämonischen Genius' der Melancholie" (Josef Adolf Schmoll genannt Eisenwerth). Hingegen kritisierte Emil Heilbut schon 1906: „Das Bild hat etwas Heraldisches bekommen", und er vermisste „überall das auf dem natürlichen Wege Entstandene." Josef Paul Hodin fand „eine bei Munch unübliche Starrheit". Für Hans Gerhard Evers war „aus Nietzsche ein bürgerlicher Volksprediger wie aus einem Drama Ibsens gemacht worden". Und Arne Eggum befand: „Gemessen an Munchs sonstigem Standard war das eine ungewöhnlich konventionelle Arbeit".

Während der Arbeiten am Gemälde schuf Munch auch eine Lithografie in Rot und Grauviolett von Nietzsches Kopf vor zwei Höhenzügen und einem wellenförmig gemusterten Himmel mit einer Sonnenscheibe. Noch einmal tauchte die Nietzsche-Figur 1909 in einem Gemälde Die Genies wieder auf, wo er gemeinsam mit Ibsen, Sokrates und anderen, weder benannten, noch zu erkennenden Denkern abgebildet war. Das Bildmotiv kam jedoch laut Detlef Brennecke über eine „Rohfassung" nicht hinaus.

1906
Oil on canvas
201.0 x 160.0cm
Q18889896
Abbildung en tekst met dank aan Wikipedia, 2023